Hier, auf Facebook und diversen Bücherplattformen veröffentliche ich regelmässig Kurzgeschichten.
Regelmässig vorbeizuschauen, lohnt sich.
Lick-B….
Eine Kurzgeschichte von Torsten Haeffner
Meine lieben Leserinnen und Leser,
leider muss ich euch heute um strikte Vertraulichkeit bitten. Ich habe ein Geheimnis mitzuteilen! Wie gut, dass ich diese Mitteilung über eine «sichere Leitung» versenden kann. Behaltet bitte unbedingt nachfolgende Geschichte für euch. Gebt sie keinesfalls weiter, teilt sie nicht in den SM-Kanälen, sondern hüllt euch in Schweigen. Nehmt mit euren Herzen Anteil. Das ist mehr als genug. Ich danke euch sehr dafür.
Zur Sache: Schon seit über einer Woche erhalte ich täglich unzählige Mails mit der Frage, wann endlich mein neuer Roman «Das Testament der Barfussläuferin» erscheint. So sehr es mich freut, dass so viele Menschen dieses Buch mit heissem Herzen herbeisehnen, so niedergeschmettert bin ich angesichts der Vorgänge, die das Erscheinen meines neuen Werks verzögern. Zuerst: Das Buch ist fertig und auslieferungsbereit! Sieht super aus und ist auch super. Aber diese Auslieferung wird nun von einflussreichen Kräften blockiert.
B-l-o-c-k-i-e-r-t !
Doch lasst euch erzählen: Seit zehn Tagen sitzt ein internationales Team von Anwälten zusammen und beratschlagt, wie vorzugehen sei: Ich hätte, so der unhaltbare Vorwurf eines Schweizer Medienhauses, in meinem Roman den Namen einer Schweizer Tageszeitung verwendet, wenngleich «geringfügig entfremdet», indem ich «den ersten Buchstaben des Zeitungsnamens durch einen anderen ersetzt» hätte. Dies und die damit in Zusammenhang stehenden Schilderungen seien ruf- und kreditschädigend. Ausserdem würde ich durch die Beschreibung von liederlichen reaktionsinternen Vorgängen die Ehr- und Persönlichkeitsrechte von leitenden Funktionsträgern besagten Blattes verletzen, auch wenn selbige Personen namentlich nicht genannt würden. Das Erscheinen meines Romans, so die Argumentation des Verlags und seines Eigentümers, müsse(!) deshalb weltweit(!) blockiert(!) und verboten(!) werden.
«Da hört sich doch alles auf», rief ich gegenüber jenem Anwalt aus, der mit seinem internationalen Team die Rechte zur weltweiten Vermarktung meiner Bücher juristisch begleitet. Mit Wucht liess ich zur Bekräftigung meiner Worte meine rechte Hand auf seine Schreibtischplatte sausen, was mein Gegenüber mehrmals sportlich in die Höhe fahren liess.
Es ist hier einzuschieben, dass mein Anwalt (unter uns: er ist Franzose!) ein schwaches Nervenkostüm hat. «Nun, nun», sagte er beschwichtigend, nachdem er wieder Sitzleder gefunden hatte, «ganz abwegig ist der Vorwurf der Gegenpartei nicht. Sie haben immerhin den Namen jenes Blattes in abgewandelter Form ver- und damit entwendet.»
Ich war und gab mich unwissend. «Das ist», parierte ich in messerscharfer Juristenmanier, «das ist, das ist ein justitiabel nicht zulässiger und vor Gericht nie durchkommender, weil unrichtiger Rechtssachverhalt. Walten Sie Ihres Amtes!» Es war mir eine innere Freude, dass ich diesen langen Satz in einwandfreiem Juristendeutsch zustande gebracht hatte.
«Nun, nun», fing mein Rechtsvertreter wieder zu jammern an, «die Verwechslungsabsicht scheint dem Verleger gegeben. Und deshalb behaupten seine Anwälte auch, Sie hätten vorsätzlich gehandelt, was die Sache noch schwieriger macht. Sie wollten den Verleger schädigen, er wäre ruiniert, wenn Ihr Roman erscheint, sagt die Gegenpartei. Das kostet Sie Millionen.»
«Vorsätzlich gehandelt, vorsätzlich gehandelt, ruiniert. Millionen. Ich mache Kunst! Kunst! Verstehen Sie? Kunst! Da vergreift man sich nicht vorsätzlich an einem Dritten. Die Kunst greift vielmehr nach mir. NACH MIR!»
Der Anwalt wedelte mit seinen Händen in der Luft herum. «Kunst, Kunst! Für den Verleger geht’s ums Geschäft. Er sagt, wenn Ihr Buch erscheint, sei er erledigt, weil Sie in Ihrem Buch zudem die angeblichen Machenschaften seiner Redaktion beschreiben …»
«So, so!», ich war wirklich auf Hundertachtzig. «Erledigt will der sein. Wegen MEINES Buches. Der soll sich mal überlegen, was ich bin, wenn es nicht erscheint!» Ich gestehe, an dieser Stelle ging mir der Atem schwer.
«Könnten Sie nicht vielleicht, die Gegenseite würde dies sicher als ein bevorzugtes Zeichen Ihres ausserordentlich guten Willens werten, aus dem ‹K› … vielleicht ein ‹P› … machen?»
Der Anwalt begann nun zu schwitzen. «Nein, verzeihen Sie, ein ‹P› geht auch nicht, das ist den Lauten nach dem eigentlichen Namen zu ähnlich.» Mein Rechtsbeistand fuhr sich genervt durchs nasse Haar, dann lachte er wie irre: «Wie wär’s mit »Quick›?»
«‹Quick?› Wissen Sie, dass es schon mal eine Zeitschrift namens ‹Quick› gab? Da haben wir explizit das gleiche Problem, einfach mit dem Konkursverwalter dieses eingegangenen Blattes. Wegen übler Nachrede.»
Er schüttelte verwirrt den Kopf. «Bedaure, ich bin Franzose und kenne den deutschsprachigen Zeitungsmarkt kaum.»
Ich überlegte einen Moment, wozu ich diesen Anwalt und sein Team eigentlich engagiert hatte, aber dann kam mir eine höchst geniale Idee: «Wäre es auch justitiabel, wenn ich schreiben würde ‹Tagesanseicher›, ‹Geldwoche›, oder ‹Hürli Zeitung›?»
Monsieur Gerard lächelte selig: «Nein, mein Bester, weil in diesem Fall würden sie nicht einen Buchstaben, sondern deren zwei verändern. Und bei zwei Buchstaben haben Sie sozusagen etwas Neues geschaffen, und das fällt dann wieder unter den Begriff der ‹Kunst›.»
Abermals hatte ich einen herausragenden Geistesblitz: «Dann machen wir’s doch so und nennen die Zeitung in meinem Roman einfach ‹Lick-Blick›. Dann haben wir vier Buchstaben verändert.» Blitzartig liess ich meine Zungenspitze hervorschiessen, an meiner Oberlippe ihr frivoles Werk tun und rollte dabei verführerisch mit den Augen.
«Mon Dieu!», rief Monsieur Gerard erlöst aus. «Mon Dieu!» Rasch tupfte er sich mit einem blütenweissen Taschentuch die Schweissperlen von der Stirn. «‹Lick-Blick›, das ist die Lösung. So machen wir’s.»
Ein Schreiber in Nöten
Eine Very-Shortstory von Torsten Haeffner
Gestern hatte ich Besuch. Ossuna, eine ausserordentlich attraktive Frau vom Nachbarhaus, hatte mich aufgesucht. Sie kommt aus Uganda, ist eine Riesin, bildhübsch und …, aber lassen wir das. Ossuna jedenfalls bat mich, einen Brief durchzulesen, den sie ihrer Krankenkasse schicken wollte. Also setzte ich mich an den Küchentisch, griff – ganz der Profi – zum Rotstift und machte mich an die Arbeit, während sie diskret meine Kleinwohnung besichtigte.
Irgendwann öffnete sie im Rahmen ihrer Inspektion den Kühlschrank. Frustriert liess sie die Türe wieder zufallen.
«Süsser», flüsterte sie mir zu und beugte sich zu mir über den Tisch, «soll ich dir etwas Superschönes zeigen?»
Ich blickte auf, nickte wie von Sinnen, bekam feuchte Hände und legte den Rotstift weg.
«Etwas, was du dir in deinen kühnsten Träumen nicht vorstellen kannst?»
Abermals nickte ich eifrig (ich glaube, mein Kinn zitterte) und erwartete irgendeine Offenbarung.
Sie bedeutete mir per Handzeichen, dass ich ihr folgen solle, was ich sogleich und voller Vorfreude tat, wenngleich es mir zunächst komisch vorkam, dass sie mich erst aus meiner Wohnung zwei Stockwerke hinab und dann im Nachbarhaus drei Stockwerke wieder hinauf führte – bis wir ihre grosszügige 3-Zimmer-Wohnung erreicht hatten.
«Jetzt geht’s los», dachte ich, als sie die Wohnungstüre hinter uns sorgsam verschlossen hatte. Leider führte sie mich nun aber nicht in ihr Schlafzimmer, sondern in die Küche, bat mich dort Platz zu nehmen, schritt zum Kühlschrank, öffnete dessen Türe und sagte lächelnd: «Schau mal, Süsser, so voll ist ein Kühlschrank, wenn man einen anständigen Job hat.»
Frustriert kehrte ich später in meine Wohnung zurück und schwor mir: Wenn erst einmal die Einnahmen aus dem Verkauf meines Romans «Das Testament der Barfussläuferin» sprudeln, werde ich Ossuna zeigen, was ein voller Kühlschrank ist!
«Honigmilch»
Eine Kurzgeschichte von Torsten Haeffner
Es war an einem Samstag, als ich mich am Abend gegen neun Uhr in einer Bar einfand. Ich bestellte einen Krug heisse Honigmilch, denn ich hatte einen verdammt harten Tag hinter mir, eine Lesung, in der ich für eine auserlesene Gruppe aus «Das Einsiedler Zittern» vorlas. Das ganze Buch. 296 Seiten. Ein Wahnsinnserfolg! Standing Ovations. Am Schluss weinten die Leute und baten mich, die Geschichte fortzusetzen und meinem Helden Traugott Traudir ein zweites Leben zu schenken … Unter uns: Ich denke darüber nach.
Also weiter im Geschehen: Die Barhocker um mich herum waren verwaist. Die Gäste des Hauses spürten wohl, dass ich nach dieser Marathonlesung etwas Ruhe brauchte. Doch irgendwann, ich hatte gerade bei Chantal einen zweiten Krug meines süssen Lieblingsgetränks geordert und mir eine Zigarette angezündet, setzte sich ein Mann neben mich: Kahlschlag auf der Kopfhaut, schwarze Lederjacke, tiefe Narben im Gesicht, Tätowierungen ohne Ende, starrer Blick auf meine Honigmilch und ein höhnisches Lächeln auf den mehrfach genähten Lippen. Unheil zog herauf.
Er: «Was trinkst du?»
Ich: «Honigmilch.»
Er: «Schmeckt’s?»
Ich: «Wie nie erlebte Kindheit.»
Er: «Was schaffst?»
Ich: «Schriftsteller. Schreib Bücher.»
Er: «Schriftsteller? Ein richtiger Schreiberling? Ein Schöngeist also. Bravo, Bravo!» Er klopfte mir falsch auf die Schulter.
Und ich, unheilschwanger: «Gell, schön.»
Während unseres kurzen Gesprächs hatte ich bemerkt, dass die Kumpane jenes Glatzköpfigen immer näher an uns herangerückt waren. Ein richtiges Halbrund bildeten sie hinter uns, damit ihnen nur ja kein Wort unserer Konversation entging. Mir war klar, es stand Ärger an. Oder Schlimmeres.
Im gleichen Augenblick, als mich der Glatzkopf fragt, ob ich ein «Milchbubi» sei und ob ich eine «kräftige Abreibung» wünsche «zum Zwecke der literarischen Inspiration», nimmt Shepherd links von mir Platz.
Shepherd, dies ist zu wissen, ist kein Mann, sondern die bildhübsche Präsidentin jener Lesergruppe, der ich an diesem Tag aus dem Einsiedler Zittern vorgelesen hatte. Sie trägt ihr blondes Haar kurz. Stahlblauer Blick, messerscharfe Intelligenz und ihre körperlichen Reize, ach lassen wir das …
Sie sitzt neben mir, schaut mich liebevoll an und sagt: «Gibt’s Ärger, Darling?»
Ich wiege unentschieden den Kopf. «Könnte sein.»
«Wie hat der Arsch dich eben genannt?»
«Milchbubi.»
«Milchbubi?», fragt sie ungläubig.
Ich, abwiegelnd und leise: «Ist okay. Lass mal. Der ist halt besoffen. Vergiss ihn.»
Shepherd taxiert blitzschnell die Gruppe des Glatzköpfigen, dann ihre Lesergruppe, die durchwegs aus gut gebauten Männern besteht. Schliesslich schreit sie mit markerschütternder Stimme: «Jungs, Angriff!»
Augenblicklich werden Bierkrüge sittlich abgestellt, Wirtshausstühle ihrer Beine entledigt und eine herrliche Schlägerei kommt in Gang. Shepherd und ich verlassen flugs das Lokal und verfolgen das Geschehen mit Applaus und anfeuernden Zurufen vom gegenüberliegenden Trottoir aus. Dank der im Nu geborstenen Fensterscheiben sitzen wir sozusagen in der ersten Reihe.
Die Gruppe des Glatzköpfigen hat schon nach zehn Minuten keine Chance mehr. Denn dies ist zu sagen: Mein kleiner Leserkreis ist keineswegs nur literarisch interessiert, sondern eine seit fast dreissig Jahren bestehende Rockergruppe. Sie nennen sich «The Virgin’s Eyes». Die Jungs – und Shepherd – haben richtig was drauf. Und so zersplittern nicht nur Scheiben, sondern auch Gläser, Nasenbeine und Zähne.
Gut dreissig Minuten mochten seit Beginn der nun langsam erlahmenden Rauferei vergangen sein, als von weit her die ersten Polizeisirenen erklangen.
Die geneigte Leserin, der geneigte Leser mag sich fragen: «Ja, wie geht denn das? Erst nach dreissig Minuten rückt die Polizei an? Und das in der Schweiz?» Dazu ist zu sagen: Hier auf dem Land geht alles etwas langsamer: Erhält die Polizei wegen einer Schlägerei einen Anruf, wird erst einmal auf Zeit gespielt. Man stellt diverse Eieruhren und wartet ab. Wenn dann die letzte Eieruhr klingelt, wird ausgerückt.
Wie gesagt: Erste Sirenen waren zu hören. Die Präsidentin von «The Virgin’s Eyes» stiess drei scharfe Pfiffe aus, meine Lesergruppe befriedete augenblicklich die Lage, klaute seelenruhig den auf dem Boden liegenden Schlägertypen ihr Bargeld und überreichte selbiges lächelnd dem Wirt.
«Das war’s wieder mal», sagte Shepherd freudig lachend. Sie klatschte in die Hände, erhob sich und ging in die Bar. Dort überreichte sie dem Wirt noch einige Scheine mit den Worten «nichts für ungut». Dann startete sie ihre Maschine. Der hämmernde Sound ihrer monströsen Guzzi liess die Strassenschlucht erzittern. Kurz darauf verschwanden «The Virgin’s Eyes» in der finsteren Nacht.
Die Polizei traf ein. Krankenwagen folgten. Ich nippte, noch immer auf dem Trottoir sitzend, an meiner Honigmilch und beobachtete das Geschehen.
«Hast du etwas mitbekommen?», fragte mich eine junge Polizistin, die mich früher schon einige Male vernommen hatte. Sie setzte sich neben mich und wirkte müde.
«Keine Ahnung, was da ablief. Soweit ich es mitbekommen hab, ging es um Literatur.»
«Um Literatur?»
Ich nickte. «Ja, um Literatur. Genauer: Um die Frage, ob man Karl Poppers ‹Das Ich und sein Gehirn› als Belletristik bezeichnen dürfe. Da gab’s offenbar zweierlei Ansichten.»
«Popper und Belletristik? Wer kommt denn auf so eine Schnapsidee? Aber sag mal, was trinkst du da?»
«Mittlerweile lauwarme Honigmilch. Willst du probieren?»
«Gerne.» Sie leerte das Glas in einem Zug, leckte sich geniesserisch die Lippen, blickte mich von der Seite her an. «Du schaust hundemüde aus.»
Ich nickte abermals. «Bin ich auch. Du bist aber auch nicht mehr ganz taufrisch.»
«Kein Wunder. Hab seit einer Woche Nachtschicht, die Gott sei Dank in zwei Minuten endet.»
Ich erhob mich und reichte ihr die Hand. «Dann lass uns gehen.»
Sie liess sich aufhelfen, lächelte müde. «Zu dir oder zu mir?»
«Zu mir. Ist näher.»
Die Morddrohung
Eine Kurzgeschichte von Torsten Haeffner
Meine lieben Leser und meine lieberen, weil mir noch näher stehenden Leserinnen,
wenn ihr diese Zeilen lest, bin ich vielleicht schon tot. Nicht etwa, weil Schriftsteller naturgemäss ungesund leben (Kaffee, Zigaretten, Whisky und stets mit einem Bein im Konkursamt). Nein, von anderer Seite drohte neulich höchste Gefahr! Aber lasst euch erzählen:
Vor gut zwei Wochen machte ich mich spät am Abend auf den Heimweg. Strammen Schrittes und in der aufrechten Haltung eines erfolgreichen Literaten durchmass ich die mondlose Nacht (OK, das ist jetzt ein wenig übertrieben). Die Turmuhr des Klosters hatte längst Mitternacht geschlagen. Von der Ferne her gellte der Todesschrei einer Katze. Kurze, scharfe Blitze brachen durch die Wolken. Ein mächtiges Gewitter war im Anzug. Schon verspürte ich erste schwere Regentropfen auf meinem Haupthaar. Wollte ich trockenen Fusses meine traute Schreibstube erreichen, musste ich meine Beine endlich unter Kontrolle kriegen.
Ich hatte noch einige hundert Meter vor mir, als plötzlich eine finstere Gestalt aus einer Gasse heraustrat und unmittelbar auf mich zuschritt. «Der Gute muss es eilig haben … », versuchte ich einen klaren Gedanken zu fassen und wich ungelenk einige Schritte nach rechts aus, um dem rasch herankommenden Herrn – er trug einen schwarzen Mantel und einen ebensolchen Hut – Platz zu machen. Jedoch, wohin ich auch zur Seite trat, stets hielt er genau auf mich zu.
Keine zwei Meter vor mir blieb er abrupt stehen. Ich tat es ihm gleich.
«Hallöchen», grüsste ich ihn und winkte freundlich. «Ein schöner, lauer Abend heute, nicht wahr?» Ich bemühte mich um ein gewinnendes Lächeln, doch es wollte mir nicht gelingen.
«Wie heisst dein verdammter Roman, Bursche?», bellte mich das Gegenüber an. Seiner Stimme wie auch seinen Worten war zu entnehmen, dass er nicht eben ein Freund meiner Bücher war.
«Äh, Sie meinen ‹Das Testament der Barfussläuferin›? Schön, nicht wahr?»
«Quatsch! Deine Barfussläuferin kannst du behalten. Das andere Buch meine ich … sag’s endlich!» Sein kalter Blick liess mich wissen, dass er kein Mensch von grosser Geduld war.
Als wäre ich begriffsstutzig, fasste ich mir an die Stirn. «Ach, Sie meinen ‹Das Syndikat der Hexer›? Freut mich, dass Sie schon davon gehört haben. Es kommt anfangs Oktober heraus … Ja, ja.» Abermals versuchte ich, mir eine gute Stimmung ins Gesicht zu zaubern. Vergebens.
«Nichts wird erscheinen», raunzte er mich an und richtete plötzlich eine grosskalibrige Waffe auf mich.
Augenblicklich benetzten kleine Schweissperlen meine Stirn.
«Mögen Sie keine guten Bücher?», versuchte ich ein unverfängliches Gespräch über die weite Welt der Literatur anzugehen. Doch er liess sich nicht ablenken, sondern trat nun so nahe an mich heran, dass ich seinen bitteren Atem riechen konnte. Düster raunte er mir zu: «‹Das Syndikat der Hexer› wird nicht erscheinen. Ist das klar? Andernfalls …»
Ein scharfes, metallenes Klicken liess mich erschrocken zusammenfahren. Mir stockte der Atem! Dann aber schob der Kerl mich einfach zur Seite und ging davon.
Ich weiss nicht, wie ich nach Hause kam …
Ein Bekannter jedenfalls verbreitete anderntags, er hätte mich gehetzten Blickes die Hauptgasse hinunterschlingern sehen. Und: Ich hätte gurgelnde Laute von mir gegeben.
Wie auch immer, ich war irgendwie nach Hause gekommen und hatte mir dort offenbar noch einen Whisky genehmigt. Vielleicht auch zwei. Dies schloss ich am anderen Morgen aus der ansehnlichen Pfütze verschütteter Flüssigkeit, in der ich mit blossen Füssen zu stehen kam, als ich mir in der Küche ein Aspirin holen ging.
Als ich nach einer ausgiebigen Dusche und einem kräftigenden Frühstück mein Leben wieder halbwegs im Griff hatte, setzte ich mich – eine Zigarette zwischen den noch immer leicht zitternden Fingern – an meinen Schreibtisch, schaltete meinen Computer an, rief mein Manuskript auf – und änderte den Titel von «Das Syndikat der Hexer» in «Das Hexer-Syndikat».
So schlug ich drei Fliegen mit einer Klappe: Ich entsprach der inständigen Bitte jenes Herrn, wonach «Das Syndikat der Hexer» nicht erscheinen dürfe, rettete – hoffentlich – mein Leben und meinen sagenhaften Roman für meine treuen Leserinnen und Leser, die mir dies sicher zu danken wissen.
Übrigens: Vielleicht habe ich dem dunklen Mann Unrecht getan, indem ich ihm nachsagte, er verstünde nichts von Literatur. Er hatte natürlich vollkommen recht: Der Titel «Das Syndikat der Hexer» war viel zu lang. Der neue Titel hingegen: kurz, prägnant und einprägsam. Man kann ihn nicht vergessen.
Die Frau am Gleis
Eine Kurzgeschichte von Torsten Haeffner
Es war diesen Sommer, an einem späten Dienstagabend, als ich am Zürcher Hauptbahnhof auf dem ansonsten fast leeren Perron auf meinen Zug wartete. Müde schaute ich auf die Uhr. Noch zwölf Minuten, bis mein Zug auf Gleis 4 einfahren würde.
Ich setzte mich auf eine Bank, zündete mir eine Zigarette an und blickte auf das grell leuchtende Werbeplakat einer Bank, das mir «die beste Rendite aller Zeiten» versprach.
«Hätten Sie Feuer für mich?», fragte mich eine Frau, nachdem sie zwei Sitze neben mir Platz genommen hatte. Sie trug einen für die Jahreszeit zu dicken Mantel. Ich schätzte sie auf etwas über Sechzig. Umständlich fingerte sie eine Parisienne aus einer Schachtel.
Ich beugte mich zu ihr hinüber, gab ihr Feuer. Ihre schlanke Hand zitterte stark.
Tief sog sie den Rauch in ihre Lunge hinab, stiess ihn mit flatterndem Atem wieder aus, abermals zog sie an ihrer Zigarette. Doch das heftige Zittern ihrer Hand blieb.
«Ist alles okay bei Ihnen?», fragte ich und machte mich darauf gefasst, nun eine Trinkergeschichte zu hören.
Sie starrte auf den vor uns liegenden Schienenstrang. Ihr Gesichtsausdruck: entgleist.
«Was sind Sie von Beruf?», flüsterte sie beinahe.
Die Frage irritierte mich. «Schriftsteller. Ich mache Bücher. Und Sie?»
«Schriftsteller? Das passt. Dann können Sie etwas damit anfangen.»
Wenngleich ich den Sinn dieses Satzes nicht verstand, nickte ich.
«Ich habe heute Nachmittag meinen Mann …», sie suchte nach dem richtigen Wort. Dann sagte sie, als spräche sie zu sich selbst: «Getötet.»
Erneut nahm sie einen kräftigen Zug und schloss für einen langen Moment die Augen.
«Jawohl.»
So bin ich halt. Wenn eine entsetzliche Lage eintritt, verwende ich Worte, die der jeweiligen Situation etwas von ihrem Schrecken nehmen sollen.
Sie öffnete wieder die Augen, blickte mich an. «Umgebracht hab ich ihn. Nach mehr als fünfunddreissig Jahren ständiger Erniedrigung. Ein Nichts war ich in seinen Augen, weil ich keine Kinder kriegen konnte. Jeden Tag liess er’s mich spüren, was ich war. Und jede Nacht. Da war ich noch weniger. Vögeln konnte ich nicht, kochen konnte ich nicht, was ich auch tat, es war falsch. Machte ich den Mund auf, verbot er ihn mir.»
«Jawohl.»
«Mehr als fünfunddreissig Jahre hielt ich durch. Bis heute Nachmittag, als er mich wegen eines angeblich völlig missratenen Apfelkuchens zwang, ihm laut zu bestätigen, was ich in seinen Augen immer war: ein Nichts, eine völlige Versagerin.»
«Und dann haben Sie …»
Sie nickte, drückte mit äusserster Sorgfalt ihre heruntergerauchte Zigarette aus. «Abgestochen hab ich ihn.»
«Mit einem Messer.»
Abermals nickte sie, dann lachte sie keck auf. «Von hinten. Das erste Mal in meinem Leben hab ich etwas richtig gemacht. Nicht wahr?»
Ich nickte. «Und jetzt?»
Eine Durchsage ertönte. Der Zug auf Gleis 3 würde gleich einfahren, verkündete die Lautsprecherstimme. «Vorsicht an der Bahnsteigkante.»
«Und jetzt? Jetzt kommt mein Zug.» Sie erhob sich mit erkennbarer Müdigkeit. «Danke, dass Sie mir zugehört haben. Machen Sie’s gut.»
«Sie auch. Adieu.»
Keine Minute später ertönten mit erschütternder Gleichzeitigkeit: ein durch Mark und Bein gehender Verzweiflungsschrei, der dumpfe Aufprall eines Körpers und das Kreischen der abrupt einsetzenden Notbremse.
Nachdem eine Polizistin meine Aussage entgegengenommen hatte, fuhr ich nach Hause. Vielleicht, überlegte ich auf meinem Weg, sollte ich einen Apfelkuchen backen.